Dr. Anne Steinmetz, geboren in Höxter/Westfalen, hat in Göttingen, Lausanne und Freiburg Geschichte, Germanistik und VWL studiert. 2014 wurde sie an der Universität Leipzig promoviert. Sie wohnt und arbeitet in Kiel.

von Anne Steinmetz

Abgestorbene Bäume, zentimeterhohe Asche­reste auf der Fenster­bank und weiße Wäsche, die nach dem Trocknen draußen grau war – in den 1980er Jahren mach­ten sich die Umweltbelas­tungen in der DDR überall bemerkbar. Man konnte sie sehen, riechen und sogar schmecken (hier und im Folgenden Stein­metz 2017).

Braunkohlekraftwerk. Im Revier südlich der Messestadt befinden sich Tagebaue des Braunkohleabbaus. © Bundesstiftung Aufarbeitung, Klaus Mehner, Bild-89_1124_WIF_Umwelt_03

Gleichzeitig wurden die Daten zur Umweltverschmutzung von 1972 an seitens des Staates unter Verschluss gehalten, ab 1982 unterlagen sie sogar der Geheim­haltung. Auch die Presse durfte nicht über das Ausmaß der Luftverschmutzung, über Industrieunfälle oder die Folgen der Um­weltbelastung für die Gesundheit berichten. Stattdessen wurden die Probleme von offi­zieller Seite heruntergespielt oder gänzlich geleugnet. Umweltverschmutzung sei ein Problem des Kapitalismus, hieß es.

Die offensichtliche Diskrepanz zwischen erlebter Realität und offizieller Sichtweise führte in den 1980er Jahren dazu, dass der Umweltschutz in der DDR immer stärker politi­siert und zum Thema der Oppositionsbewegung wurde. Sogar Umweltgruppen der staatlichen Massenorganisation Kulturbund forderten Ende der 1980er Jahre freie Wahlen, eine demokratische Gesellschaftsordnung und eine un­abhängige Medienlandschaft. Die Tatenlosigkeit der Par­tei- und Staatsführung hatte somit zu einer Politisierung auch solcher Gruppen geführt, die bei ihrer Entstehung zu Beginn der 1980er Jahre noch vor allem Verbesserungen der Lebensbedingungen vor Ort erreichen und keineswegs einen politischen Umsturz herbeiführen wollten.

NATUR- UND HEIMATFREUNDE IM KULTURBUND

Im Einparteienstaat DDR waren die Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements begrenzt. Es gab im We­sentlichen zwei Wege, um im legalen Rahmen für Umwelt­schutz aktiv zu werden: unter dem Dach der Kirche oder innerhalb des Kulturbundes der DDR. In dieser staatlichen Massenorganisation waren 1949 alle bis dahin existieren­den Vereine und Verbände aus den Bereichen Wissen­schaft, Kunst und Kultur aufgegangen. In der Abteilung der Natur- und Heimatfreunde im Kulturbund hatten sich ab 1950 all diejenigen zusammengefunden, die sich für Naturschutz im weiteren Sinne interessierten. Vogel- und Gehölzkunde, Aquaristik, aber auch Astronomie und Denk­malpflege gehörten zu den vertretenen Fachgebieten. 1954 zählten sie rund 35.000 Mitglieder, deren Interesse in ers­ter Linie fachwissenschaftlich begründet war. Viele nutzten die Natur- und Heimatfreunde für den wissenschaftlichen Austausch und beruflich motivierte Forschungsarbeiten. Das änderte sich zunächst auch nicht, als sie 1980 aufge­löst wurden und in der neugegründeten Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU) aufgingen. Zwar war das wach­sende Interesse am Umweltschutz und die damit verbun­denen gesellschaftlichen und in den westlichen Industrie­nationen auch politischen Veränderungen Anlass für die Neustrukturierung, doch die im Kulturbund organisierten Naturschützer blieben im Wesentlichen ältere Männer, die ungestört in ihrem Fachgebiet arbeiten wollten. Die jungen Leute, die sich angesichts der stetig wachsenden Umwelt­verschmutzung und damit verbundenen gesundheitlichen Folgen Sorgen um die Zukunft machten, gründeten zu­nächst neue Umweltschutzgruppen – insbesondere unter dem Dach der Kirche. Erst später nutzten sie für ihr Enga­gement auch die GNU.

INTERESSENGEMEINSCHAFTEN STADTÖKOLOGIE

Nach und nach entstanden innerhalb der GNU in verschie­denen Städten sogenannte Interessengemeinschaften (IG) Stadtökologie. Sie alle verband das gleiche Ansinnen: eine Verbesserung der Umwelt- und Lebensbedingungen vor Ort. Durch möglichst öffentlichkeitwirksame Aktio­nen wollten sie zudem zum Mitmachen und zum umwelt­bewussten Handeln anregen. Die IG-Mitglieder wollten jedoch nicht anecken und stellten das politische System nicht grundsätzlich infrage. Ihr Ziel war es, innerhalb des staatlich geduldeten Rahmens etwas zu verändern. Aus diesem Grund entschieden sie sich auch bewusst für die Tätigkeit innerhalb des Kulturbundes und gegen die kirch­lichen Umweltschutzgruppierungen.

Dennoch – auch weil die IG in den meisten Fällen Kontakt zu den ortsansässigen kirchlichen Umweltschutzgruppen hatten – schauten die staatlichen Stellen von Anfang an mit wachsamem Interesse auf die IG-Mitglieder und ihre Aktivitäten. Nicht nur das Ministerium für Staatssicherheit beobachtete die IG, auch die lokalen Kulturbundleitungen versuchten, auf die Arbeit der IG Einfluss zu nehmen oder sie sogar zu lenken. Dabei waren deren Aktivitäten gerade zu Beginn der 1980er Jahre alles andere als staatsfeindlich.

ÖKO-KIRMES IN BERLIN-KÖPENICK

Ab Ende der 1980er Jahre änderte sich zunehmend die Stimmung in den IG. Kritische Stimmen wurden lauter, so etwa in der IG Berlin-Köpenick. Bei ihrer Gründung 1986 hatten die Mitglieder in ihrem Grundsatzprogramm noch als wichtigstes Ziel festgehalten, Umwelt­wissen vermitteln, zur Pflege erhaltenswer­ter Umweltstrukturen beitragen und wert­volle Ökotope wiederherstellen zu wollen.

1987 und 1988 erregte die IG aber dann mit der „Köpenicker Öko-Kirmes“ Aufmerksam­keit. Jenseits von Ständen, an denen Ke­ramik, selbstgenähte Kleidung, Spielzeug und Vollkorngebäck verkauft wurden, wur­de über die Umweltprobleme in der DDR informiert. Eine Fotoausstellung zeigte Bilder der landes­weiten Verschmutzungen und von sterbenden Wäldern. Ergänzend widmete sich eine Podiumsdiskussion aus­führlich dem Thema. Angesichts der gesetzlich verfügten Geheimhaltung der Umweltdaten wurde beides von offi­zieller Seite scharf kritisiert. Das Ministerium für Umwelt­schutz und Wasserwirtschaft etwa warf der Kulturbund­leitung vor, nicht eingeschritten zu sein und zugelassen zu haben, dass Fotos gezeigt wurden, die das Bild der DDR entstellten. Zudem seien in einer polemischen Diskussion auch „politisch-negative Kräfte“ zu Wort gekommen. Die Kulturbundleitung verteidigte sich damit, dass man sich mit verschiedenen Meinungen, auch den kritischen, habe auseinandersetzen wollen. Man räumte aber ein, dass die Planung nicht mit der erforderlichen Sorgfalt und „politi­schen Gründlichkeit“ (zit. nach Steinmetz 2017: 265) durch­geführt worden sei. Die nächste Öko-Kirmes sollte deshalb erst wieder in zwei Jahren stattfinden.

AUFBRUCH IN POTSDAM

An der IG Stadtökologie in Potsdam wird deutlich, wel­che politische Bedeutung der Umweltschutz im Laufe der 1980er Jahre gewann. Die IG Potsdam, die sich unter dem Namen ARGUS (Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz und Stadtgestaltung Potsdam) erst im April 1988 gegründet hatte, formulierte von Beginn an politische Ziele: Die Um­weltverschmutzungen sollten nicht nur beseitigt werden, die ARGUS wollte auch über Ursachen und Auswirkungen aufklären. Sie wollte keine „Müllbrigade“ sein, sondern of­fen diskutieren und schließlich auch gesellschaftliche und politische Veränderungen herbeiführen.

Aus diesem Grund verfolgten die Mitglieder von Anfang an eine Vernetzung aller bestehenden IG Stadtökologie. So konnten sie sich auch ohne offizielle Daten über das Aus­maß der Umweltverschmutzungen informieren, sich über die Reaktionen staatlicher Stellen austauschen und ge­meinsame Forderungen abstimmen. Gleichzeitig erhöhte die Vernetzung ihre Durchsetzungskraft und die Wirksam­keit ihrer Forderungen.

Anfang April 1989 kamen gut 120 Personen aus insgesamt 24 IG in Potsdam zusammen. Ein zweiter Austausch mit noch etwas mehr Teilnehmenden folgte im Oktober 1989. Während im April der Umweltschutz im Mittelpunkt des Treffens gestanden hatte, war die Ausrichtung des zweiten Treffens deutlich politischer: In einer verabschiedeten Wil­lenserklärung forderten die IG-Mitglieder freie Wahlen, eine demokratische Gesellschaftsordnung, die Offenlegung der Umweltdaten und eine unabhängige Medienlandschaft. Außerdem kritisierten die Unterzeichnenden, dass sie als Mitglieder des Kulturbundes als „Aushängeschild“ miss­braucht würden. Sie forderten, dass der Kulturbund sich auf seine Wurzeln besinne und zur „demokratischen Er­neuerung“ beitrage. Die Kriminalisierung des Einsatzes für den Umweltschutz sowie der Sorge um „unser Dasein und das unserer Kinder“ kritisierten sie ebenso wie die „Unehr­lichkeit“ (zit. nach Steinmetz 2017: 280), mit der auf die be­stehenden Probleme reagiert würde.

Die Erklärung wurde sicherlich von den nationalen und internationalen Entwicklungen beeinflusst, sie ist den­noch bemerkenswert für die Interessengemeinschaften der staatlichen Massenorganisation Kultur­bund, die sich einst ausschließlich dem Na­tur- und Umweltschutz verschrieben hat­ten. Denn dieser spielt in der Erklärung nur noch eine untergeordnete Rolle.

Das Ignorieren und Leugnen der offen­sichtlichen Umweltprobleme sowie die Ge­heimhaltung der Messdaten durch die Par­tei- und Staatsführung führten dazu, dass auch diejenigen, die stets versucht hatten, im legalen Rahmen Veränderungen herbei­zuführen, sich Ende der 1980er Jahre frus­triert abwendeten. Auch sie glaubten nicht mehr daran, dass unter den bestehenden Umständen Verbesserungen der Lebensbe­dingungen möglich seien.

Das trifft nicht nur auf die Mitglieder der IG zu, die im Kul­turbund ohnehin eine besondere Rolle spielten und oft erst in den 1980er Jahren eingetreten waren. Vielmehr waren auch einige langjährige Mitglieder und sogar Funktionäre beim Erfahrungsaustausch und dem Verlesen der Willens­erklärung anwesend. Sie griffen nicht ein, um die offene Kritik an der Staatsführung zu unterbinden. Stattdessen wurde im Nachhinein im Bundessekretariat des Kulturbun­des der Erfahrungsaustausch positiv bewertet und die bis­herige Untätigkeit auch des Kulturbundes beim Umwelt­schutz kritisiert.

 

Literatur 

Steinmetz, Anne: Landeskultur, Stadtökologie und Umweltschutz. Die Bedeutung von Natur und Um­welt 1970 bis 1989. Eine deutsch-deutsche Betrach­tung, Berlin 2017.

 

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